Roter und Wolliger Fingerhut
Digitalis purpurea L. und Digitalis lanata Ehrh.
Ab den Monaten Mai oder Juni begegnen wir wieder diesen zwei für die Medizin des 20. Jahrhunderts wichtigen herzwirksamen Giftpflanzen aus der Familie der Wegerichgewächse (früher Braunwurzgewächse) in den Gärten oder in der Natur. Österreich bildet für beide Arten die Trennlinie ihres Lebensraumes. Während der Rote Fingerhut westlich und nördlich von Österreich sein natürliches Vorkommen hat, findet sich der Wollige Fingerhut in der Natur östlich und südöstlich des Burgenlandes und der Südsteiermark einerseits bis zum Kaspischen Meer und anderseits über den Balkan bis zur Ägäis.
In den Alpen werden Wanderer schon oft auf die gelb blühenden Vertreter dieser Gattung – den Großblütigen F. (D. grandiflora MILL.) oder den Gelben Fingerhut (D. lutea L.) gestoßen sein.
Medizinische Anwendung
Die Reinglykoside Digitoxin und Gitoxin wurden im letzten Jahrhundert von Ärzten als klassische Arzneimittel zur Verbesserung der Leistung des geschwächten Herzens verordnet. In den letzten Jahrzehnten ist die Anzahl der Verordnungen deutlich zurückgegangen. Extrakte oder Reinsubstanzen kamen auch äußerlich zur Anwendung als Wund- oder Venenmittel und auch in Augentropfen. In der Homöopathie werden Potenzierungen bei Herzschwäche oder bei trägem, schwachem oder extrem niedrigem Puls verordnet und wenn der Patient zu Ödemen neigt.
Unerwünschte Wirkungen und Giftwirkungen
Vergiftungen mit Fingerhutpflanzen kommen äußerst selten vor, da bereits der stark bittere Geschmack der Cardenolidglykoside vom Verzehr der Blätter abhält. Achtung! Zwei bis drei Gramm der getrockneten Blätter gelten als tödliche Dosis. Eine große Gefahr ist eine Überdosierung durch falsche Einnahme von digitalishältigen Arzneimitteln. Vergiftungssymptome treten bereits bei einer Überschreitung der therapeutischen Dosis um das 1,5- bis 3-fache auf. Da die Einnahme einer höheren Menge an Digitalisglykosiden oft Erbrechen auslöst, kommt es im Körper nicht zur Aufnahme dieser Giftstoffe. Erbrechen auszulösen ist wichtig, da diese Wirkstoffe im Dünndarm gut vom Körper resorbiert werden. Die zusätzliche Gabe von medizinischer Tierkohle ist sinnvoll. Wichtig ist aber die rasche Entscheidung eines Arztes über weitere Maßnahmen.
Eine starke Überdosierung (toxische Menge) oder zu häufige Einnahme kann zu folgenden Erscheinungen führen:
Zunächst lokale Reizungen im Magen-Darmtrakt gefolgt von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Es folgen dann zunächst Pulsverlangsamung, Extrasystolen und Überleitungsstörungen. In weiterer Folge kommt es zur Pulsbeschleunigung bis 140 Schläge/Minute, meist nur schwach spürbarem Puls und schließlich zu Blutdruckabfall und Herzlähmung.
Der Tod kann innerhalb eines Tages oder erst nach einigen Tagen eintreten. Die Herzwirkungen können begleitet werden von zentral verursachtem Erbrechen, Angstgefühl, Schwäche, Schwindel, Sehstörungen und anderem mehr.
Zusammenfassung
Aus den Blattextrakten mit schwankendem Gehalt der Giftstoffe konnten dank der Dosierungsgenauigkeit der herzwirksamen Reinglykoside aus dem Roten und Wolligen Fingerhut wertvolle und unverzichtbare Arzneimittel im 20. Jahrhundert entwickelt werden. Die Vergiftungsfälle sind seither selten, können aber schon bei relativ geringer Dosisüberschreitung durch die geringe therapeutische Breite und kumulierende Wirkung dieser Giftstoffe dramatische Folgen haben und tödlich enden.